MICHAELA SPIEGEL
"Standbilder"
19.03. - 18.04. 2014
Michaela Spiegel, „multiple.org“, 2014, Video Installation Monoband, Dauer 8 Min. in Loop, „Lovesounds“ von Jacques Renault, Black room aus schwarzem Satin, Black Box „L´Homme du XXième Siècle“ & „Les Maladies de la Vulve“, Dimension Variabel in Situ
Das zentrale Sujet von Michaela Spiegel sind gesellschaftlich produzierte Rollenbilder der Frau, die sie mittels verschiedenster Medien dekonstruiert. Für ihre Ausstellung „Psyche“ (2011) fokussierte Spiegel etwa Szenen aus bekannten Filmklassikern, die sich vor oder hinter diesem gleichnamigen Möbelstück - ein Frisiertisch - abspielen. Dem Blick der Frau in den Spiegel ist nicht nur eine reine Selbstbetrachtung, sondern auch eine Außenperspektive mit der Erwartungshaltung an ihre Rolle als Frau eingeschrieben. Mittels der Sprache hebt Spiegel Diskrepanzen der konstruierten, weiblichen Identität hervor.
Michaela Spiegel, aus dem Zyklus „Standbilder“ / aus der Serie „Fake“, "L´empire des sens", 2013/14, Pastell auf Papier, 149 x 212 cm
Unter dem Titel „Standbilder“ zeigt die Galerie Steinek neue, großformatige Pastellzeichnungen sowie einen darkroom der anderen Art: Im projizierten Video "multiple.org" verschmelzen die headshots von Originalfilmen ineinander, aufeinander, hintereinander, zum Rhythmus der lovesounds (© Jacques Renault 2014). Ungezählte weibliche Höhepunkte, oder doch nur fakes? Eine mögliche Antwort auf die Frage findet sich auch im Film „Emmanuelle Kant“ (2014), der im ‚Palais du Tokyo‘ (Paris) Ende Mai 2014 zum ersten Mal vorgeführt wird.
Sowohl in den Zeichnungen als auch im Video bedient sich Spiegel sprachlich den von der Gesellschaft produzierten Rollenbildern. Die Standbilder von Spiegel sind den Erotik- und Pornoklassikern des letzten Jahrhunderts entnommen. Zu Portraitierten zählen etwa Kim Bassinger in ‚9 ½ Wochen’, Romy Schneider in ‚Les Innocents aux mains sales’, Sylvia Kristel in ‚Emmanuelle’ oder Eiko Mastsuda in ‚Im Reich der Sinne’. Die Theatralik des sexuellen Aktes wird vom privaten Schlafzimmer auf die Kinoleinwand projiziert, das Täuschungsmoment erweitert und der Betrachter mit einer Welt zwischen Schein und Realität konfrontiert. In ihnen wird ein Ideal von Sex vermittelt, das Lustgefühl visualisiert und dem Orgasmus ein „Sex Face“ zuordnet. Wirkung versus Gefühl: Wie wirken wir beim Sex auf das andere Geschlecht attraktiv? Der Gesichtsausdruck wird zum Fake und das auf doppelter Ebene. Spiegel‘s headshots halten einen flüchtigen Moment fest, doch der sexuelle Akt außerhalb des sichtbaren Ausschnitts wird zu einer imaginären, visuellen Erweiterung des betrachtenden Subjektes, zu einem Schauspiel und einer auf die Spitze getriebenen Täuschung. Das „Sex Face“ ist nicht das Ergebnis des Gefühls, der Lust und der Empfindung, vielmehr entspringt es dem Drehbuch und dem Ideal der Gesellschaft, die es zum Maßstab unserer gelebten Realität erhebt.
Ausstellungsansicht "Standbilder" von Michaela Spiegel, Galerie Steinek, 2014
„Das theatralische Vortäuschen des Orgasmus zählt zu den Benimmregeln der Genommenen. Der sogenannte FAKE gehört zum Anstandsstandardrepertoire der Unterlegenen. Historisch tradiertes Realitätsprinzip ersetzt emanzipiertes Lustprinzip. Pietät statt Parität. Heterosexuelle Höflichkeitsfloskel.“ (Michaela Spiegel, 2014)
Michaela Spiegel zeichnet gesenkte Blicke, geschlossene Lider, leicht geöffnete Münder: Es sind Klischees weiblicher Leidenschaft. Vom lieblichen Gesichtsausdruck bis hin zu weit aufgerissenen Augen und dem lustvollen Saugen am eigenen Finger wird dem Betrachter ein breites Spektrum an Gesichtsausdrücken während des scheinbaren Höhepunktes vorgeführt. Der weibliche Orgasmus ist heute wesentlich mehr als nur der Ausdruck weiblicher Autonomie: Er wird zum höchsten Ziel des Aktes erklärt, zu einer sinnlich-freudigen Bestätigung der Qualität erhoben und damit zu einem Anforderungskriterium, welches Abwege aus diesem selbst geschaffenen Pflichtverhältnis eröffnet. Statt sich völlig den Empfindungen, der Neugier und dem emanzipierten Lustprinzip hinzugeben, wird vorgetäuscht, wird das von der Gesellschaft festgelegte Ziel mittels einer schauspielerischen Höchstleistung erfüllt – und die Realität für einen kurzen Moment negiert.
Mittels der Reduktion auf weisse und schwarze Pastellkreide kontrastieren die Werke mit unserer farbintensiven Gegenwart. Es vollzieht sich eine Beziehung zwischen Vergangenheit und Gegenwart, die einen dokumentarischen Charakter aufweist. Die ‚dunklen Halbwelten‘ sowie die Schwebemomente zwischen Gegensatzpaaren wie Endlichkeit und Ewigkeit, Schlaf und Hypnose, Ekstase und Tod werden durch den Kontrast wesentlich untermauert.
Einzig das ready-made (aus einem Kinderspiel „L’HOMME DU XX SIÈCLE“ und einem medizinischen Lehrbuch „MALADIES DE LA VULVE“) im Projectionsraum des Videos "multiple.org" karikiert den Zweifel an der weiblichen und wohl auch männlichen Lust.
Die Erforschung der männlichen Lust fokussiert Spiegel derzeit im Rahmen der Gruppenausstellung „Motopoétique“ im Musée d’Art Contemporain in Lyon, in welcher sie neben mit Silberfaden bestickte Bikerjacken die Videopersiflage "JE MONTE JE VALIDE" aus über ihre eigene Sexualität gestolperten männlichenPersönlichkeiten zeigt.
Musée d´Art Contemporain de Lyon, "Motopoétiques", von Paul Ardenne kuratiert, 21.02.-20.04.2014, www.mac-lyon.com
Palais de Tokyo, Paris, Filmpräsentation "Emmanuelle Kant", Mai 2014, www.palaisdetokyo.com